Montag, Dezember 24, 2012

Rikky, meine Weihnachtsgeschichte


die ich mit Euch teilen will, zusammen mit all meinen Wuenschen, dass ihr glueckliche und friedvolle Weihnachtstage verbringen möget. (und natuerlich vegane Weihnachtstage!!!! aber ich weiss schon, das will fast keiner hören, nur die paar die es hoeren wollen, die freuen sich ganz besonders drüber!)

Es war ein langer Weg, und auch wenn es kein ¨Happy End¨ im Sinne all der schoenen Hollywoodfilme geben kann, so gibt es doch ein relatives Happy End, ein viel besseres, als wir uns je erhofft haetten:

Es ist ueber ein Jahr her, da kam ein Anruf aus Tudela: "Wir haben einen angefahrenen Hund im Strassengraben gefunden, er kann die Hinterbeine nicht bewegen. Wir haben kein Geld zum Roentgen, koennt ihr euch drum kuemmern?". Und so kam er zu uns, Rikky. Ein Huetehund, mittelgross, zwischen 12 und 15 kg, und ganz offensichtlich mit einem fuehlbaren schweren Bruch der Wirbelsaeule, die gebrochene Stelle konnte man ganz leicht als dicken Gnubbel unter der Haut tasten, die Knochen standen foermlich unter der Haut heraus. Die Roentgenbilder waren eindeutig, und der Bruch so stark, dass der Neurologe vor einer Myelomalasia warnte, dass die Nerven der Wirbelsaeule sukzessiv absterben wuerden. Wir schleiften Rikky noch zu einem anderen Spezialisten, der ihn sich gar nicht richtig anguckte, aber uns unser Geld abnahm fuer eine Visite in der er ihn noch nicht einmal beruehrte. Dann haben wir ihn operiert um die Wirbelsaeule zu stabilisieren, und mehr konnten wir schon nicht mehr fuer ihn tun. Auch nicht fuer seine rechte Vorderpfote, die zwar nicht gelaehmt ist, aber in der die Nerven geschaedigt sind, so dass er mit ihr nicht die gleiche Kraft hat wie in der linken Vorderpfote. Und das ist ein boeses Problem wenn man schon keine funktionierenden Hinterbeine hat. Kurzum: Rikky wurde schlechthin zu einem Problemfall, und es gab viele und lange Diskussionen daruber, was fuer eine Zukunft Rikky haben koenne, mit nur einer richtig funktionierenden Pfote. Oder ob man ihn nicht besser euthanasieren solle. Nur der Neurologe war da ruhig: "Der stirbt eh in 2 Wochen an seiner Myelomalasia." Da braeuchte ich gar nichts zu entscheiden, nur abwarten. Ich hab damals dagegengewettet, und jedesmal wenn ich ihm begegne sag ich ihm, dass wir jetzt schon ueber ein Jahr gegen ihn gewonnen haetten. Das irritiert ihn jedesmal ein wenig.

Rikky war aber da, voellig unuebersehbar. Knapp ueber 1 Jahr alt vielleicht, energiegeladen, lautstark, vibirierend fröhlich, aktiv und voller Lebenshunger. Keine Chance dass der von alleine tot umfallen wollte. Aber mit seiner grobmotorischen Art verursachte er uns und sich selbst so einige Probleme....vor allem durch wunde Stellen, eine Art Liegeschwielen, die er sich aber selber durch sein vieles Bewegen mitverursachte, die er aufleckte, und die sich phasenweise auch durch mangelnde innere Durchblutung des Gewebes von innen heraus entwickelt hatten. Es betraf natuerlich immer nur den hinteren, gelaehmten Teil seines Koerpers. Die Tieraerzte in der Klinik wickelten und salbten, machten viele verschiedene Sorten Wundverbaende und Pflegesysteme, aber die Wahrheit ist, es war eine Herausforderung gegen diese Wundbildung auch nur halbwegs anzukommen. Wenn man eine Stelle fast geschlossen hatte, brach eine andere auf. Irgendwie wollte es nicht gut laufen....Ab und an machte sich eine gewisse Verzweiflung breit, und es mehrten sich die Gefuehle, dass wir auf verlorenem Posten kaempfen wuerden, und dass Rikky vielleicht doch ein Fall zum Euthanasieren sei. Wir mussten sogar einmal nochmals operieren um entzuendetes Gewebe zu entfernen und ihm den Schwanz zu amputieren. Parallel hofften wir, seine rechte Vorderpfote staerken zu koennen, so dass er bald einen Rollstuhl bekommen koenne um wie ein normaler gelaehmter Hund durch die Gegend fahren zu koennen. Er bekam schon mehr Kraft in die Pfote, aber ausreichend um damit einen Rolli managen zu koennen, das war es nicht. Da er ja in seiner hinteren Körperhälfte nichts fuehlt, interessierten Rikky diese Probleme rein gar nicht. Er war damit beschaeftigt, seine Energie durch Rumrobben, lautstarkes Bellen und intensives Schmusen mit seinen Menschen abzubauen, und hatte keine Zeit sich mit anderem zu beschaeftigen. Tagsueber nahm ich ihn mit auf s Land, wo er sich die Zeit damit vertrieb die Wildkatzen anzubellen und mit den Augen zu verfolgen, abends brachte ich ihn zur Wundversorgung wieder in die Klinik. Es war klar, ein Rolli muss her, wenn nicht mit 2 Raedern, dann eben mit 4 Raedern. Ein Rollstuhlspezialist in den USA hatte Erfahrung mit solchen Faellen, und wir bestellten fuer Rikky ein Quad, einen Rolli mit 4 Raedern, der ihm ermoeglichen wuerde, sein schwaecheres Vorderbein zu entlasten. Kostet gute 800 Euro, und allein das Ausmessen aller Koerperlaengen und Hoehen kann einen Tage beschaeftigen. Und dann gibt es verschiedene Typen Quads, und welcher ist der Richtige? Da muss man sich dann auf die Experten verlassen, dass die genau verstehen, wo seine Probleme liegen. Es dauerte seine Zeit, und dann war das Gefaehrt da. Bis dahin hatten wir Rikky mit einem Handtuch unter den Hinterbeinen spazierengefuehrt, was mit seinem schlecht zu belastenden rechten Vorderbein nicht einfach fuer ihn war. Man kann es auf dem Weihnachtsvideo sehen. Jetzt war sein Quad da.
Und Rikky hasste es!!!
Er begriff gar nicht, wieso er DA rein solle. Wo man doch auch so ueber den Boden robben kann (und sich lauter neue Wunden dabei hinzufügt)  Er wollte nicht. Dass er das Prinzip verstanden hatte, war mir klar, als ich mich eine Sekunde umdrehte und er gleich bergabwaerts den Wildkatzen hinterherstuerzte. Aber ohne Wildkatze war nix zu machen. Es war einfach doof in dem Ding, fand Rikky. Also alles tun was Lehrbuecher so anraten würden. ¨Nehmen sie ein Leckerli¨ und all so Kram. Kein Leckerli brachte ihn dazu sich mit dem Ding fortzubewegen. Er blieb stur drin sitzen und schaute sich die Welt an. Nur wenn ein Hund auf der Strasse vorbeikam, dann raste er urploetzlich mit lautem Gebell wie ein Irrer auf den los, dass man nur noch hinterherrennen konnte um ihn festzuhalten. Erfolg war immer ein sehr verstoerter Hund und ein entsetzter Hundebesitzer. Es vergingen Monate, recht frustrierende Monate, und wir nannten das Quad die "teuerste Fehlanschaffung" die wir hätten. Und ploetzlich kam der Tag, da machte es "Klick" in Rikkys Kopf. Er begriff, was fuer Moeglichkeiten das Quad ihm bietet. Und seitdem gibt es nur noch eins in seinem Leben: Quad fahren!!!! Jeden Tag darf er mehrmals ueber die Promenade nahe unserer Klinik fahren, da, wo alle Leute spazierengehen, ihre Kinder oder auch ihre Hunde ausfuehren. Er kann nicht genug davon kriegen. Und er hat Techniken entwickelt, er dribbelt um die Laternenpfaehle und Ecken wie ein junger Pelé, er beschleunigt von 0 auf 100 in 3 Sekunden, und er kriegt nie, aber auch nie, genug davon. Sobald man sich der Tuer zur Strasse naehert steht Rikky auch schon breit davor und sagt "Ich komme auch mit!". Er hat auch eine Technik entwickelt sich aus dem Wagen nach vorne hin rauszugleiten, wenn er im Gras liegen moechte naemlich. Es gibt auch den Salto mortale, wenn er mit voller Geschwindigkeit gegen eine Kante faehrt und es ihn im Salto herausschleudert, da sollte man schneller sein als er und VORHER bremsen.
Jeder im Viertel der Klinik kennt ihn. Die Kinder kommen in Trauben und wollen alles wissen: Wieso kann der nicht laufen? Hat der keine Beine? Wie macht der Pipi? Warum traegt der Windeln?
Sie wollen ihn anfassen, erklaert bekommen, und fragen, fragen, fragen. Sie haben keine Beruhrungsaengste und freuen sich jeden Tag darauf Rikky zu sehen. Und Rikky geniesst das Bad in der Menge, umso mehr Leute und Interesse, umso besser. Er wird so gern gestreichelt, er ist so gern mit dabei. Alles sehen, alles aufnehmen und nachholen was er so lange vermisst hat. Und dann sind da all die anderen Leute. Vor allem Erwachsene scheinen eine Problemgruppe zu sein. Oft wissen die schon bevor sie fragen ALLES. "Der gehoert doch euthanasiert!" ist ein Lieblingsstatement. Oder sie ziehen ihr neugieriges Kind weg, man sieht wie sie beim Weiterlaufen dem Kind erklaeren wie schlimm und schrecklich das alles sei. Das Kind wollte sich annaehren und gucken und fragen, aber die Mutter zieht es weg. Dann gibt es die Omas im Rollstuhl, die sich solidarisieren und sagen "Oh, ich sitz auch im Rollstuhl". Und den Mann mit Kinderlaehmung und verkrueppelten Beinen, der an Kruecken durch´s Leben geht, der schaut ihn an und sagt: "Dich sollte man euthanasieren". Tage spaeter treffen wir seine Frau, die im Rollstuhl sitzt  und sagt: "Ich weiss wie das ist, schau mal, ich sitz auch im Rollstuhl und ich hab trotzdem viel Spass." Sie weiss nicht, was ihr Mann davor gesagt hat, und ich frag mich, was sie dazu denken wuerde. Und dann all die andern Menschen. Die, die sich freuen, die einem eine lange Geschichte erzählen ueber Dinge die sie gesehen und erlebt haben. Die, die in ihren Augen Mitgefuehl und Waerme leuchten lassen. Eine Kindergartengruppe hat Rikky eingeladen, als Beispiel fuer Verkehrserziehung soll er da herhalten. Die Kinder fragten, ob sie ihn nicht mit nach Hause nehmen duerfen um fuer ihn zu sorgen.
Ein Spaziergang mit Rikky ist nicht immer einfach. Man braucht an manchen Tagen ein dickes Fell. Nicht in allen Augen leuchten Liebe und Mitgefuehl. Aber Rikky hat das dicke Fell. Ich wuenschte mir oft eine Kamera, zu spannend die Reaktionen der Leute auf ihn, sie sagen so viel ueber uns Menschen. Ueber unsere Haltung zu Behinderung, zum Anderssein, und zum Leben ueberhaupt. Wann ist Leben lebenswert? Wer darf wie ueberleben?

Rikkys Leben ist nicht ohne viele Einschraenkungen. Natuerlich waer er gern ein ¨normaler¨ Hund. Wuerde ohne Raeder ueber Wiesen toben, und nicht abhaengig sein von uns und unseren Zeiteinschraenkungen. Aber er ist nunmal kein normaler Hund, und so nimmt er seine Welt so wie sie ist. Mit all ihren Einschraenkungen ist es trotzdem seine Welt, und er will in seiner Welt Dinge tun und erleben und fuehlen.


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